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Ein Philosoph im Fernsehen

  • Autorenbild: Felix Thiele
    Felix Thiele
  • 15. Dez. 2021
  • 3 Min. Lesezeit

Da sitze ich mal abends vorm Fernseher, denn ich habe gelesen, dass ein Philosoph eine eigene Sendung hat. Das möchte ich sehen, das finde ich gut, eigentlich, denke ich. Und dann sehe ich Richard David Precht und höre ihn gleich zu Beginn der Sendung folgenden Satz sagen: „Nie war es gesellschaftlich so sehr akzeptiert wie heute, die eigene Sensibilität und Verletzlichkeit zu zeigen. MeeTo, Black Lives Matter, Gender-Debatten und die Diskussion um die Corona Maßnahmen sind nur ein paar Beispiele dafür.“* Im Oberseminar hätten wir den Referenten an dieser Stelle höflich aber bestimmt unterbrochen und die nächsten drei Stunden mit ihm über diesen Satz und was alles nicht mit ihm stimmt diskutiert. Aber nicht so im Fernsehen, der Zuschauer will schließlich unterhalten werden und so plaudert Precht mit seinem Gast, ebenfalls eine Philosophin, munter drauf los. Mit jeder Minute, die ich den beiden zuhöre, tippe ich immer mehr und immer hektischer Notizen in den Laptop. Mein innerer Chef Arzt weiß nach kurzer Zeit nicht mehr, wo er all die nach Luft schnappenden Gedanken unterbringen soll, die sich besorgt in der zerebralen Notaufnahme drängeln und behandelt werden wollen. Bevor es nun womöglich noch zu einem System-Zusammenbruch kommt, drücke ich die Pausetaste und wende mich nach guter Oberseminar-Sitte dem oben zitierten Satz zu. Zwar erscheint es auf den ersten Blick geradezu trivial, dass alle der genannten Themen etwas mit der Verletzlichkeit der Betroffenen zu tun haben. Trotzdem erscheint die Nennung etwa von MeToo und Gender-Debatten im selben Atemzug merkwürdig, geradezu verharmlosend: Sexueller Missbrauch und auch Polizeigewalt sind Straftaten und werden dementsprechend juristisch verfolgt. Die Gender-Debatte dagegen ist zunächst mal (nur) eine soziologische und auch moralische Debatte, aber keine juristische. Jedenfalls ist mir nicht bekannt, dass irgendjemand fordert, etwa das Vergessen des Gender-Sternchens mit einer Gefängnisstrafe zu ahnden. Im weiteren Verlauf der Sendung, die ich mir dann natürlich doch angesehen habe, wird deutlich, dass Precht den Raum, den die gesellschaftlichen Debatten über Sensibilität und Verletzlichkeit einnehmen, für übertrieben und problematisch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt hält. Wir leben, nach Precht, in einer Zeit der Empfindsamkeit oder wie er auch sagt: der Empfindlichkeit. Und auch hier werden wieder zwei Dinge gemeinsam verwendet, die so ohne weiteres nicht zusammengehen. So mag man bei Empfindsamkeit an die großartigen Romane von Jane Austen, denken, oder an die deutsche Romantik, die ein unschätzbarer Teil der deutschen Kulturgeschichte ist. Empfindlichkeit dagegen ist negativ aufgeladen. Sagen wir von jemandem, er sei empfindlich, so schwingt meist ein „Der soll sich nicht so anstellen!“ mit. Die Argumentation oder sagen wir vielleicht besser der Gesprächsfaden Prechts ist nicht sehr überzeugend. Begriffe wie Empfindsamkeit und Empfindlichkeit werden in die Debatte geworfen und irgendwie miteinander verknüpft oder auch nur verklumpt. Da das ganze auch immer mit dem Unterton vorgebracht wird, dass irgendetwas nicht stimmt in und mit unserer Gesellschaft, kommt Krisenstimmung auf: das moderne Individuum beschäftigt sich viel zu sehr mit der eigenen Sensibilität und Verletzlichkeit, so dass unnötiger Weise bestimmte gesellschaftliche Themen aufgebauscht werden. Eingewickelt wird das ganze dann noch mit einer nebulösen Warnung, dass unsere individuellen Freiheiten durch eben jene übertriebenen gesellschaftlichen Aufgeregtheiten immer weiter beschränkt werden könnten.

Nun mögen sie sich, lieber Leser, denken: „Soweit so gut, so eine Sicht auf die Welt kann man doch haben. Also was soll das ganze Genörgel und Gemecker, Thiele?“ Mir ist, und da werde ich jetzt unhöflich konkret, die gebotene Argumentation einfach zu dünn. Natürlich ist eine Fernsehsendung kein philosophisches Seminar, in dem mit geistiger Strenge diskutiert wird. Fernseh-Formate, wie das von Precht sollen natürlich auch unterhalten. Und Precht hat sich ja durchaus mit seinen allgemein verständlichen Philosophie Büchern einen Namen gemacht und das ganz zu recht. Aber allgemein verständlich heißt nicht schwach begründet. Der im Plauderton vorgetragenen Gesellschaftskritik fehlt einfach Tiefenschärfe und Überzeugungskraft


Und ja, mir graut vor der nächsten Familienfeier, wo meine Oma sagen wird: „Du Felix, ich habe neulich eine tolle Sendung im Fernsehen gesehen, mit einem Philosophen. Kennst du den? Das ist ja so ein attraktiver Mann.“

„Ja Oma … möchtest du noch Apfelkuchen?“

 
 
 

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