top of page

Meine Katze. Eine Analyse

  • Autorenbild: Felix Thiele
    Felix Thiele
  • 6. Jan. 2022
  • 6 Min. Lesezeit

Ich wollte nie eine Katze. Und meine Katze ist eigentlich auch gar nicht meine. Zwar habe ich vor Jahren einen Kaufvertrag für sie mit-unterschrieben. Juristisch gesehen, besitze ich also die Hälfte von diesem Tier. Die Katze gehört mir aber nicht und ich will auch gar nicht, dass sie mir gehört, nicht einmal die Hälfte, und ich beanspruche auch kein Nutzungsrecht oder Erziehungsrecht, selbst um das Umgangsrecht habe ich mich nicht bemüht. Trotzdem ist sie da. Die Katze gehört eigentlich meiner Tochter und als die vor einem Vierteljahr auszog, blieb die Katze hier, sie wurde nicht mitgenommen, vergessen, einfach stehen gelassen, keiner weiss es. Jedenfalls blieb sie da und nun lebt sie bei mir. Allerdings scheint sie eine recht einfache Vorstellung von Leben, einem guten Leben vielleicht, zu haben. Sie hat kein Berufsleben, geht keiner geregelten Beschäftigung nach, sie hat auch kein Privatleben, nicht auf Insta, nicht einmal auf Facebook. Ich zweifle, dass sie auch nur eine Postkarte in ihrem Leben geschrieben hat. Immerhin verläuft ihr Leben in fest gefügten Bahnen: sie schläft, frisst und scheißt, und bewegt sich langsam zwischen den drei Orten, an denen sie diese drei ewigen Lebensaufgaben verrichtet.


Jeden morgen kommt sie, wenn ich es mir gerade mit der ersten Tasse Kaffee und der Zeitung im Sessel bequem gemacht habe, wozu in den Wintermonaten auch das komplizierte Einwickeln in eine Decke gehört, genau dann also kommt sie auf gar nicht so leisen Pfoten die Treppe herunter gestapft. Und mit jeder Stufe, die sie nimmt, wird mir bewußter, dass es mit meiner Ruhe gleich vorbei sein wird. Was das Fressen angeht, erwartet die Katze meine uneingeschränkte Kooperation, ist dann aber regelmäßig von meiner Leistung sehr enttäuscht. Entweder es ist zu wenig Futter, oder das falsche oder eins, was nur abends schmeckt, oder einfach nur Futter, dass in einem farblich unpassenden Schälchen serviert wurde. (Vielleicht sollte ich das Futter mit einem Petersilien-Sträußchen garnieren, beim Servieren die Marseillaise singen oder „You never walk alone!" Aber viel Hoffnung habe ich ehrlich gesagt nicht….) Woher ich weiß, dass die Katze unzufrieden ist? Na ja, entweder sie schleicht mit bitter klagendem Gemaule ans andere Ende der Wohnung, von wo ihr Wehklagen besonders verlassen, geradezu episch klingt. Oder sie bleibt, was ich besonders perfide finde, Vorderpfötchen neben Vorderpfötchen gesetzt in manierlicher Haltung neben dem randvollen Futternapf sitzen und macht große runde Augen, die immerfort zu flehen scheinen: bitte hol mich jemand hier raus, dieser Mann ist gemein, gemein, gemein.


Wo wir gerade dabei sind, lieber Leser: Sie sind doch sicher auch kulturanthropologisch beschlagen und deshalb möchte ich Sie fragen, wie es eigentlich sein kann, dass unsere Vorfahren über Jahrtausende hinweg wirklich hart daran gearbeitet haben, die Natur aus unseren Behausungen herauszuhalten, und wir nun diesen Akt der Zivilisation vergessen machen und alle möglichen Tiere und Pflanzen wieder in unsere Häusern und Wohnungen holen? Was, bitte, soll zum Beispiel ein Bauer aus dem 18. Jahrhundert denken, dessen Leben von früh bis spät ein harter Kampf gegen Hunger und Armut war und der den Stall nicht zum Spaß direkt ans Wohnhaus baute, sondern um die Abwärme des Viehs im Winter zur Beheizung des Hauses zu nutzen. Was soll der denken, wenn wir unseren Pfiffi - der wahrscheinlich ein sündhaft teurer, dafür aber reinrassiger Zwerg-Nasen-Minispitz-Retriever-Albino namens Dustin vom Landhouse ist - in seinem mit Karbid beheizten und mit Baby-Alpaca ausgeschlagenen Körbchen vors Haus tragen, damit er sich dort entleeren kann und wir Kulturbürger dann ein kleines Plastiktütchen zücken… was soll dieser arme Bauer denken? Aber entschuldigen Sie, ich will nicht abschweifen. Zurück zur Katze.


Und dann hieß es: Es ist doch schön, dass du jetzt, wo du ganz allein bist, jemanden hast, um den du dich kümmern musst. Nicht dass ich mich nicht schon um meine Musiksammlung kümmern müsste und um den magischen Wäschekorb, der niemals leer wird, oder vielleicht und jedenfalls besonders anspruchsvoll auch um mich selbst?!


Manchmal, wenn die Katze etwas will, also Futter, dann schaut sie mich an oder sagen wird besser erstmal, sie guckt dahin, wo meine Augen sind. Aber nur manchmal, denn genauso oft guckt sie mir aufs Knie. Rein aus der Beobachtung könnte man meinen, die Katze hat ein Konzept von mir, das ungefähr so aussieht: schwerhöriger Futterautomat, der meistens Polohemden trägt, und den man ausdauernd und durchdringend angucken muss, damit er Futter bereitstellt. Aber man weiß es nicht, werden jetzt einige sagen. Vielleicht ist die Katze hoch intelligent und wir merken es nur nicht. Man könnte zum Beispiel meinen, dass die Katze es doch viel cleverer macht als das COVID Virus. Letzteres muss ständig mutieren, um nicht massakriert zu werden. Die Katze dagegen tut nichts und wird dafür auch noch gefüttert. Auch wenn es also nicht ganz ausgeschlossen ist, dass meine Katze intelligent ist, habe ich doch starke Zweifel. Überlegen wir doch mal, wie wir sonst vorgehen, wenn wir wissen wollen, ob ein Wesen intelligent ist. Eine Strategie ist es, zu versuchen mit diesem Wesen zu kommunizieren. Wenn ich zum Beispiel morgens beim Bäcker zur Verkäuferin sage „Ein Roggenbrötchen, bitte“ und dann tatsächlich auch ein Roggenbrötchen bekomme und das vielleicht nicht nur einmal klappt, sondern mehrere Tag hintereinander, dann würde man sagen, dass die Bäckerin und ich mindestens eine primitive Form der Kommunikation oder Sprache miteinander praktizieren - und dass ist ja schon ein bisschen intelligent von uns beiden. Wie ist es nun bei der Katze? Fehlanzeige! Wenn die Katze etwas will, kommt sie, bleibt vor mir stehen und miaut. Wenn ich mich dann als respektvoller Tierhalter ihr zuwende und unter Aufbietung meines ganzen Charmes frage „Ja, was möchtest Du denn, du süßes, kleines Kätzchen?“ Dann guckt sie mich an, d.h. mein Knie, und bleibt stumm. Und wenn ich mich dann als liebender Tierhalter noch mal an sie wende: „Mein zuckersüßes kleines Katzen Schneuselchen, was kann ich für dich tun?“ dann bleibt sie stumm. Stellen Sie sich doch bitte mal vor, ihre Tochter käme zu Ihnen und würde sagen: „Lieber Papa, bitte!“ Dann würde Sie als Vater, freundlich fragen: „Liebes Kind, worum bittest Du mich?“ Wenn Ihre Tochter dann sagen würde “Lieber Papa!“ oder Sie nur anschauen würde, dann würde Sie sich vermutlich so langsam fragen, ob in der Spracherziehung Ihrer Tochter alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Da würde es auch nix nützen, wenn Ihre Tochter den Kopf leiht schräg halten, die Augen zusammen kneifen würde und anfinge zu schnurren. (Überhaupt, dieses ewige Geschnurre: wie damals der kaputte Trafo meiner Modelleisenbahn - der brannte allerdings irgendwann durch und war dann still!)

Dabei verlange ich nicht viel. Ich wäre schon glücklich, wenn die Katze auf dem Zuruf Katze! oder wenigstens Miststück! oder vielleicht auch bescheuertes überflüssiges Vieh!, regelmäßig und für mich erkennbar, in einer immer gleichen oder wenigstens ähnlichen Weise reagieren würde. Das ist aber nicht der Fall. Mal spitzt sie die Ohren, mal aber auch nicht, mal guckt sie in meine Richtung, wobei wir jetzt schon wissen, dass man gar nicht weiß, guckt sie in meine Richtung, also grob gesagt mir ins Gesicht oder auf mein Knie, mal steht sie auf, mal schläft sie einfach ein. Sie macht einfach irgendwas, ohne dass ich irgendein regelgeleitetes Verhalten erkennen könnte, geschweige denn, dass ich durch mein Handeln ein bestimmtes Verhalten der Katze reproduzieren könnte. (Es gibt allerdings eine Ausnahme: wenn ich der Katze mit dem Finger vor dem Kopf herumfuchtele, dann fixiert sie ihn und folgt ihm mit ihrem Blick wie am Schnürchen gezogen und so lange bis ich einen Krampf im Arm bekomme. Allerdings will ich annehmen, dass es sich dabei um einen Jagd-Reflex handelt, denn ansonsten drängt sich mir das alte chinesische Sprichwort auf: Der Weise zeigt auf die Sterne und der Idiot glotzt auf den Finger.)


Aber Katzen lieben doch ihren Menschen, höre ich jetzt den ein oder anderen sagen. Das soll dann wohl ungefähr soviel heißen, dass Katzen komplexe Gefühle haben und dass ich deshalb selbstverständlich falsch liege damit, dass meine Katze keine höheren geistigen Fähigkeiten hat. Ich bitte Sie, eine Katze die mir aufs Knie starrt, wenn sie Hunger hat … Der Mensch ist eitel, er will gefallen. Dafür haben die alten Griechen Frauen geraubt und Kriege angefangen, dafür werden bis heute Verbrechen begangen und Meisterwerke geschaffen. Der Mensch will gelobt werden, doch was er auch anstellt, irgendwer hat immer was zu meckern. Ja wir schaffen es nicht einmal, unsere Kinder so zu erziehen, dass sie uns durchweg bewundern. Und was hat das mit den Katzen zu tun? Die Katzen wurden von Menschen gezüchtet, oder? Und natürlich hat der Mensch sie so gezüchtet, wie er es wollte. Glauben Sie vielleicht, jemand würde Katzen züchten, die uns ständig zu verstehen geben, wie dämlich, selbstsüchtig, tollpatschig und lernunfähig wir sind? Katzen, die uns zutiefst unsympathisch finden? Nein natürlich nicht! Egoisten und Narzissten, die wir nun mal sind, haben wir auch die Katzen nach unserem Bedürfnissen geschaffen.


Zu guter letzt: Ich spreche mit meiner Katze? Ja das tue ich. Aber was soll das schon heißen, das ist doch wirklich kein Beweis dafür dass ich meine Katze für intelligent halte. Ich spreche auch mit meinem Schnürsenkel, wenn der zum wiederholten Mal aufgeht oder mit meiner Hand, wenn sie mal wieder unkontrolliert zittert. Wenn ich meinen Schnürsenkel verklagen würde, weil ich der Meinung wäre, dass er mit Absicht ständig aufgeht und für dieses Fehlverhalten zur Rechenschaft gezogen werden müsse, dann würde ich ihn für intelligent halten. Nur, dann wäre ich es nicht.


Während ich mir hier den Kopf zerbreche, liegt der kleine Fettwanst gemütlich in seinem Körbchen und träumt wahrscheinlich von Thunfisch in Aspik. Ich werde mir jetzt einen Kaffe machen … und bitte, fragen Sie mich nicht, wen ich da gerade analysiert habe.


 
 
 

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
Kino Macht Kultur

Da wollte ich heute Abend doch so gerne ins Kino gehen. Aber mein Freund Tom, der muss noch bügeln, weil er in den Skiurlaub fährt. Hat...

 
 
 

Comments


Schreibt mir, ich freue mich auf euer Feedback

Danke für die Nachricht!

© 2023 Das Fundbüro / Felix Thiele

bottom of page