top of page

Mit dem Unternehmen Zukunft auf Reisen. Eine Mini-Reportage in zwei Teilen

  • Autorenbild: Felix Thiele
    Felix Thiele
  • 8. Mai 2023
  • 5 Min. Lesezeit



Teil 2 --- 6 Radler und 2 Flaschen Wein


Am nächsten Morgen, die Ex-Mutter meiner geschiedenen Frau bereitete das Frühstück zu, las ich in der Morgenzeitung Berichte über die in wenigen Tagen bevorstehende Einführung eins 49 Euro Tickets, mit dem man durch ganz Deutschland würde fahren können. Besorgte Stimmen wollten wissen, ob es denn dadurch zu überfüllten Bahnsteigen und Zügen kommen könne. Ich hätte den besorgten Stimmen gerne zugerufen,: „Macht euch keine Sorgen, volle Bahnsteige und Züge sind die Kernkompetenz der Bahn, dazu braucht es also kein 49 Euro Ticket.“ Aber ich habe dann doch nicht gerufen, denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass man komisch angeguckt wird, wenn man mit seiner Zeitung spricht - auch wenn man ja eigentlich nur mit den besorgten Stimmen redet!

Ich nahm dann einen früheren Bus zum Bahnhof, um allen Eventualitäten vorzubeugen. Die Fahrt verlief aber vollkommen problemlos und so war ich diesmal sogar 30 Minuten zu früh. Der Bahnhof lag still und friedlich in der Morgensonne, nur zwischen den Gleisen lärmte und schimpfte ein Schwarm Spatzen und suchte ich sein Frühstück zusammen: Popcorn, Erdnussflips, Bratwurstzipfel und Pommes-Reste schienen mir bei den Spatzen am beliebtesten. Auf dem Perron standen nur vereinzelt Fahrgäste und blinzelten in die Sonne. Mein Zug stand schon am Gleis und so stieg ich ein, suchte mir einen schönen Platz und vertiefte mich in meine Zeitung.

Als ich einige Minuten später, die Abfahrt des Zuges rückte näher, hinter meiner Zeitung hervorlugte, bot sich mir eine vollkommen veränderte Ansicht. Der Zug füllte sich jetzt rasch mit Fans des VfB Stuttgarts, der an diesem Tag ein Heimspiel hatte; die meisten trugen Trikots in den weiß-roten Farben ihres Vereins. Sie führten Bier und auch Schnaps mit sich und sprachen beidem munter zu. Im übrigen waren sie gut organisiert und diszipliniert: ertönte das Kommando „Trinkpause“ setzten alle sofort ihre Bierflaschen an den Mund und tranken ausgiebig. Dann begann man zu meiner großen Freude zu singen. Für mich ergab sich hier die großartige Chance, aus nächster Nähe Studien über die Kompositions-Prinzipien und die Aufführungspraxis des Fußballfan-Gesangs zu betreiben. (Meine Anmerkungen zur schematischen Kompositionsweise der Fan-Gesänge finden sich im Anhang).

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich der Deutschen Bahn für diese Gelegenheit danken! Sie hat, das muss man ihr anrechnen, der Versuchung widerstanden, Extrazüge einzusetzen. Und außerdem organisierte sie einen 60minütigen außerplanmäßigen Halt kurz vor Stuttgart. Die entsprechende Durchsage, wenn es eine gegeben haben sollte, war bei dem Lärm natürlich nicht zu hören.

Kaum in Stuttgart angekommen, durfte ich das nächste Highlight meiner Reise erleben. Sie müssen nämlich wissen, dass die Bahn in Stuttgart in bester Lage ein Freilichtmuseum eingerichtet hat. Es heißt Stuttgart 21 und ist eine bewundernswerte Ansammlung von Ideen und halb umgesetzten Plänen aus dem letzten Jahrtausend. Es ist erstaunlich mal aus direkter Nähe betrachten zu dürfen, wie ganz offensichtlich die Menschen in früheren Zeiten unfähig waren, mittelgroße Infrastruktur-Maßnahmen auch nur halbwegs in der geplanten Zeit und zu den veranschlagten Kosten abzuschließen. Aber das war ja im letzten Jahrtausend. Mittlerweile haben wir etliche Wumse und Doppel-Wumse erlebt, so dass unser schönes Land sich zwar noch nicht mit licht- aber immerhin mit Deutschland-Geschwindigkeit in die internationale Bedeutungslosigkeit katapultiert.

Betrübt verließ ich das Freilichtmuseum und schlängelte mich auch die Menschenmassen zu dem Bahnsteig, an dem mein IC fahren sollte. Der war natürlich längst weg, hatten mich meine Gesangstunden und der Museumsbesuch doch erheblich Zeit gekostet. Aber wie vom Schicksal persönlich dort hinbeordert, stand ein ICE am Bahnsteig, der über Mannheim und Mainz nach Bonn fahren solle. Ich wollte die Schaffnerin eigentlich gerade fragen, ob mein 2. Klasse IC Ticket denn angesichts der Umstände auch für ihren Zug gölte, da lächelte sie mich aber schon freundlich an und sagte: „Setzen sie sich mal in die 1. Klasse da ist Platz.“ Und so saß ich schließlich gemütlich in der wirklich komfortablen 1. Klasse, jemand brachte ein verpacktes Stückchen Schokolade vorbei, auf dem stand: „Kleines Dankeschön“- ein Dankeschön wofür auch immer.

Wir passierten Mainz und fuhren durch das Mittel-Rhein-Tal nach Koblenz. Eigentlich ein Grund zu entspannen und die Aussicht zu genießen. Allerdings bemerkte ich beim Zugpersonal eine gewisse Unruhe, die minütlich stieg. Von meinem Platz aus konnte ich den Herrn sehen, der von so einer Art wegklappbarer Theke aus den Passagieren der 1. Klasse und den Insassen der 2. Klasse Getränke und kleine Snacks verkaufte. Dieser Herr zählte mehrfach hektisch seine Bestände durch. Irgendwann rief er dann den Zugchef herbei und die beiden flüsterte längere Zeit miteinander. Sie schienen mir sehr besorgt. Schließlich richtete sich der Zugchef die Krawatte, griff zum Mikrofon und machte folgende Durchsage: „Meine Damen und Herren, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass …“ Ich dachte natürlich sofort an die Hinreise und ergänzte in Gedanken: „dass unser Zug wegen eines vor uns liegengebliebenen Zuges nach Koblenz zurück muss.“ Tatsächlich teilte der Schaffner uns allerdings etwas viel schlimmeres mit, nämlich: „Wir können Ihnen leider kein Bier mehr verkaufen. Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Wir haben aber noch 6 Radler und 2 Fläschchen Weißwein für Sie!“ Für einen Kurzen Moment erwartete ich, der Zug würde entgleisen oder wenigstens der Blitz einschlagen und die Theke in ein Häufchen Asche verwandeln. Der Gesichtsausdruck von Schaffner und Nicht-Bier-Verkäufer zeigte mir, dass sie ähnliches befürchtet hatten. Stattdessen kamen zwei mittelalte Herren mit geröteten, leicht verschwitzten Gesichtern. Beide wirkten in sich gekehrt, so als ob sie im Rahmen einer meditativen Übung ihren Körpermittelpunkt fixieren würden. Vielleicht versuchten sie aber auch nur, ihre Harnblasen zu kontrollieren, denn sie hatten offenbar schon reichlich getrunken.

„Hallo!“ sagte einer der beiden Herren.

„Steffen“ sagte er andere.

„Mein Freund Rolf hier, möchte gerne noch mehr Bier kaufen“ sagte de erste Herr zum Zugbegleiter

„Steffen“ sagte der andere Herr, der Rolf hieß.

„Leider habe ich kein Bier mehr, meine Herren.“ sagte der Zugbegleiter.

Übrigens war der Zug zum Stehen gekommen. Wir waren schon in den Randbezirken von Bonn und der Schaffner ließ uns über Lautsprecher wissen: „Sehr geehrte Damen und Herren, wie sie sicher bemerkt haben, sind wir außerplanmäßig zum Stehen gekommen. Warum das so ist, weiß ich auch nicht.“

“Was haben Sie denn noch?“ fragte der erste Mann.

„6 Radler und 2 Fläschchen Weißwein.“ antwortete der Zugbegleiter

„Steffen!“ sagte Rolf.

Es entwickelte sich ein Wir-haben-Kein-Bier-mehr!-Wir-möchten-bitte-mehr-Bier-Gespräch. Ich machte mir langsam Sorgen, ob man dieses Gespräch zu einem guten Ende würde führen können, denn immerhin hat die Bier-Frage ein gewisses Eskalationspotential. Doch dann passierte etwas gänzlich unerwartetes. Rolf sagte:

„Steffen! ………….Kauf einfach alles. Ich habe Durst!

Und schon fuhr der Zug im Bonner Hauptbahnhof ein und meine Reise ging glücklich zu Ende.


NACHTRAG

Als ich zu Hause ankam, musste ich feststellen, dass ich die Maultaschen, die mir die geschiedene Ex-Mutter meiner Nicht-mehr-Frau mitgeben wollte, bei ihr vergessen hatte. Ich bat Alfons zu mir, der wie immer wusste was zu tun ist: „Wenn Sie erlauben, würde ich den Heli schicken, dann sind die Maultaschen zum Abendenssen hier!“ Danke Alfons!


ANHANG

Zur schematischen Kompositionsweise des VfB-Stuttgart-Fan-Gesangs

Die Fan-Gesänge bestehen aus einfachen Grund-Elementen, die aber beliebig aneinandergereiht und vor allem an verschiedene Gegner unkompliziert angepasst werden können. Ein in seiner Einfachheit und dennoch fast universellen Einsetzbarkeit beeindruckendes Beispiel möchte ich hier kurz vorstellen. Die Grundelemente dieses Fan-Gesangs sind (A) „Super VfB“ und (B) „Scheiß x“. Sie sehen sofort das geniale Prinzip: der Gesangsteil B ist rasch und auch für den ungeübten Fan-Sänger leicht erlernbar, an den jeweiligen Gegner anpassbar. Der heutige Gegner war offenbar der VFL Wolfsburg und so sang man also für B: „Scheiß VFL“. Mit der Aneinanderreihung der Grundelemente lässt sich sich dann auch die Wertschätzung für den eigenen Verein und die Abneigung gegen den Gegner mit nahezu unbegrenztem Detail zum Ausdruck bringen. Wird also zum Beispiel gesungen: A:B:A:B:A:B dann gibt das eine gewisse Wertschätzung für einen als nahezu ebenbürtig geachteten Gegner wieder. Abstufungen wären etwa: A:A:B:AA:B oder A:B:A:A:B:B:A:B:B:A:A. und so weiter. Wird gesungen A:A:A:B:A:A:A:B traut man dem Gegner nichts zu, hört man A:B:B:B:B:B:B:B:B:B:B:B:B:A geht es wahrscheinlich gegen die Bayern.




 
 
 

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
Kino Macht Kultur

Da wollte ich heute Abend doch so gerne ins Kino gehen. Aber mein Freund Tom, der muss noch bügeln, weil er in den Skiurlaub fährt. Hat...

 
 
 

Comments


Schreibt mir, ich freue mich auf euer Feedback

Danke für die Nachricht!

© 2023 Das Fundbüro / Felix Thiele

bottom of page