Verbesserte Rezeptur! Propaganda bald auch mit Künstlicher Intelligenz!
- Felix Thiele
- 24. Feb. 2023
- 4 Min. Lesezeit

Kann man nun bald gar nichts mehr glauben? Ist es endgültig vorbei mit der Wahrheit? Seit Ende letzten Jahres ist ein neuer Chat Bot online. Er heißt ChatGPN und er schreibt auf eine Aufforderung hin Texte zu beliebigen Themen. Von der Qualität her gehen die Texte zum Teil als Proseminar-Arbeiten durch. Das Programm kann auch Dichten und Gedichte interpretieren oder Dialoge zwischen beliebigen Personen ausarbeiten. Man kann den Bot aber auch einfach nach dem Weg zur abgelegensten Insel der Welt fragen. Der Chat Bot weiß enorm viel und ist beeindruckend schnell. Manchem wird da Angst und Bange. Könnte es nicht sein, dass solche Maschinen, besonders solche mit Künstlicher Intelligenz, bald noch viel schlauer und schneller sein werden als wir, und uns die Welt erklären? Ob dass dann alles wahr ist, was man uns mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz alles so eintrichtert, können wir dann vermutlich, weil die Maschinen so schlau sind, gar nicht mehr herausfinden. Desinformation und Propaganda überall. Ist das unsere Zukunft?
Aber eins nach dem anderen. Fangen wir doch mit der Behauptung an, diese Entwicklung würde uns überrollen oder wie es auf ”Silikonesisch“ heißt: Maschinen mit Künstlicher Intelligenz sind eine ”disruptive Technologie“. Eine disruptive Technologie, so die Idee, ersetzt eine vorhandene Technologie und zwar schnell und vollständig. Außerdem kommt diese Entwicklung geradezu zwangsläufig, alle haben sehnlichst darauf gewartet und alle brauchen ”es” dringend. Der Verweis auf die angenommene Zwangsläufigkeit der Entwicklung soll außerdem verhindern, dass die möglichen Folgen so eines technischen Umsturzes in der Verantwortung derjenigen liegen, die die Technik entwickelt haben. Übersetzt man diese Charakterisierung aus dem Silikonesischen, das vorwiegend im Silicon Valley und darüber hinaus nur mit Einschränkungen in manchen Teilen des Tech-Sektors - etwa bei Start-Ups und Tech-Investoren - gesprochen wird, dann klingt die Rede von der disruptiven Technologie doch auffallend nach Marketing für das eigene Produkt und der Weigerung sich über die Folgen des eigenen Tuns Gedanken zu machen. Disruption entpuppt sich bei näherem hinsehen oft als Rhetorik. Zwar wird nicht mehr auf Schreibmaschinen getippt, sondern in Computer-Tastaturen, aber das Tippen erledigen immer noch Büroangestellte. Und sicher hat Uber dank seiner raffinierten Software die bestehenden Taxi-Unternehmen gehörig unter Druck gesetzt, aber immer noch fährt ein Fahrer einen Fahrgast - nur verdient der Fahrer womöglich noch weniger als vorher. Sicherlich ist es gerechtfertigt, auf die letzten Jahrzehnte gesehen, von einer digitalen Revolution zu sprechen, aber der Alltag der Entwicklungsarbeit im Tech-Sektor ist vermutlich nicht sehr revolutionär, ja nichtmal sonderlich glamourös. Künstliche Intelligenz muss schließlich erstmal Zeile für Zeile programmiert und Roboter müssen gebaut werden. Der Übergang vom Bit zum Atom ist alles andere als einfach. Allerdings stehen wir erst am Anfang einer Entwicklung, die ernstzunehmende Risiken für die Meinungs-Bildung und Meinungs-Freiheit mit sich bringt.
Schon länger hat kein menschlicher Schach- oder Go-Spieler auch nur den Hauch einer Chance gegen einen entsprechenden Computer zu gewinnen. Genauso wird es vermutlich schon bald Computerprogramme geben, die immer bei ”Wer wird Millionär?“ gewinnen würden und selbst bei Willi Lemkes heiterem Beruferaten das Schweinderl mit nach Hause nehmen könnten. (Ich weiss … aber als Kind fand ich es toll.) Und wenn man Künstliche Intelligenz für Desinformation zum Beispiel vor Wahlen benutzt? Oder zu Propagandazwecken? Neu wäre daran nur die Technik, nicht die Absicht.
Da gibt es zum Beispiel einen lateinischen Text, den Generationen von Schülern Satz für Satz übersetzen mussten: Caesars De bello gallico (ca. 50 v. Chr.). Heute vor allem ein Übungs-Text, war die Schrift von Caesar als eine Rechtfertigung für sein Handeln als Feldherr während der Kriegsjahre gedacht. Und so versucht der gute Gaius Julius den Leser unentwegt davon zu überzeugen, dass all sein Tun uneigennützig und zum Wohle des Römischen Volkes gewesen sei. Am Ende möchte man fast glauben, dass der gute Mann viel lieber auf seinen Gütern, die Zeit damit verbracht hätte, Basilikum zu züchten. Aber weil es denn zum Wohle aller Römer sein musste, hat er sich gefügt und ist dann eben Diktator geworden ist. Was auf den ersten Blick wie ein neutraler Bericht wirkt (und wirken soll) ist ein vielschichtiger Text, den man nur ansatzweise versteht, wenn man ihn liest, ohne die Hintergründe zu kennen.
Nachdem Johannes Gutenberg um 1450 den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfunden hatte, explodierte die Zahl der Bücher - so sollen bis zum Jahr 1500 schon 40.000 Buchtitel veröffentlicht worden sein. Niemand konnte die alle gelesen haben. Während des Dreißigjährigen Kriegs nutzen die Kriegsparteien die Druckerpresse gern, um sich gegenseitig mit Vorwürfen und Propaganda zu überziehen. Flugblätter, schnell zu drucken, schnell zu verbreiten, waren das Mittel der Wahl. Als kaiserlich-katholische Truppen 1631 Magdeburg stürmten, plünderten und die Stadt zerstört und auf ein Drittel der ursprünglichen Einwohnerzahl reduziert zurück ließen, warfen die Protestanten auf Flugblättern dem Gegner mit einer Vergewaltigungs-Metapher vor, die Stadt „geschändet“ zu haben, worauf die Gegenseite konterte, hätte die Stadt sich früher freiwillig ergeben, gemeint ist wohl: hingegeben, hätte sie mit einer sanfteren Behandlung rechnen können. Wem sollte man glauben und warum?
Man kann viele weitere Versuche aufzählen - von Feindsender bis Trollfabrik - jemanden, bestimmte Gruppen oder gleich ein ganzes Volk über bestimmte Dinge im Unklaren zu lassen oder geradewegs zu täuschen. Und immer schon gibt es Versuche, dies aufzudecken. Dazu muss man aber lernen, auf verschiedenen Ebenen mit Informationen umzugehen, Texte zu interpretieren, Quellen - seien es nun Jahrhunderte alte Texte oder lebendige Informanten - auf ihre Glaubhaftigkeit zu überprüfen. Dazu braucht es und brauchte es immer schon Aufklärung und Bildung.
Aber auch wenn Chat Bots keine neue Qualität der Desinformation erzeugen, werden sie aber sicher schneller und mehr Desinformation produzieren. Es könnte also noch schwerer werden, herauszufinden, was wahr oder sagen wir besser richtig oder gut begründet ist und was nicht.
Aber wenn man den Bock zum Gärtner machen kann, warum können wir dann nicht auch den Gärtner zum Bock machen? Wenn wir Computer so programmieren können, dass sie raffinierte Desinformation produzieren, können wir dann nicht auch Computer so programmieren, dass sie auf raffinierte Weise, Desinformationen aufdecken können?
Wenn das mal nicht ein disruptiver Gedanke ist.
Comments